BAG: Verstößt die dauerhafte Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD gegen Europarecht? Risiko der Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsbeträgen an die Zusatzversorgungskassen (ZVKen)

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Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16. Juni 2021 – 6 AZR 390/20 (A) –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Juli 2020 – 7 Sa 19/20

Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof mit Beschluss vom 16. Juni 2021 – 6 AZR 390/20 die Frage vorgelegt, ob eine dauerhafte Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD gegen die europäische Leiharbeitsrichtlinie verstößt.

Nach deutschem Recht (§ 1 Abs. 3 Nr. 2b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)) unterliegt diese privilegierte Form der Personalgestellung bislang nicht den strengen Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungsrechts. Sie ist bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen weitgehend ohne Beschränkungen zulässig, auch über mehrere Jahre hinweg.

1. Sachverhalt

In dem vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall hat ein Krankenhaus verschiedene Aufgabenbereiche, zu denen auch der Arbeitsplatz des Klägers gehörte, auf eine neu gegründete Service GmbH ausgegliedert. Der Kläger, auf dessen Arbeitsverhältnis der TVöD Anwendung fand, wurde fortan vom Krankenhaus im Wege der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD dauerhaft an die Service GmbH gestellt. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG fallen solche dauerhaften Personalgestellungen – wenn Aufgaben eines Arbeitnehmers von dem bisherigen zu dem anderen Arbeitgeber verlagert werden und auf Grund eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber weiterhin besteht – nicht unter den Tatbestand der Arbeitnehmerüberlassung und sind nach deutschem Recht aktuell zulässig.

Der Kläger hat nun geltend gemacht, auch bei der Personalgestellung iSv. § 4 Abs. 3 TVöD handele es sich um eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung, die gegen die europäische Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) verstoße.

2. Entscheidung der Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Juli 2020 – 7 Sa 19/20

Das LAG Baden-Württemberg hat einen Verstoß gegen die europäische Leiharbeits-Richtlinie noch verneint und die Klage abgewiesen.

Als Argument für die Zulässigkeit von dauerhaften Personalgestellungen wurde bislang angeführt, dass diese mit einer Überlassung eines Leiharbeitnehmer nicht vergleichbar sei. Das Vertragsarbeitsverhältnis sei bei einer Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD – anders als bei einer Arbeitnehmerüberlassung – gerade nicht gekennzeichnet durch kurzfristige Einsätze oder einen ständigen Wechsel des Arbeitsortes/Entleihers. Zudem werde mit der dauerhaften Personalgestellung den Arbeitnehmern nicht der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt versperrt. Vielmehr bleiben diese in dem für sie günstigen, an den TVÖD gebundenen Arbeitsverhältnis mit ihren (Alt-)Arbeitgebern.

Eben mit dieser Begründung habe der deutsche Gesetzgeber die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG geschaffen, nach der eine dauerhafte Personalgestellung nicht dem Arbeitnehmerüberlassungsrecht unterfalle. Zweck dieser Regelung sei Privatisierungen zu erleichtern, indem eine dauerhafte Gestellung des bisherigen Personals an den Übernehmer ermöglicht werde, wenn auf diesen dauerhaft Aufgaben übergehen.  

3. Praxishinweise – Risiko der Verpflichtung von Ausgleichszahlung an die ZVKen

Die vom EuGH zu treffende Entscheidung kann weitreichende Folgen für die Praxis haben. Dies gilt insbesondere für Krankenhausträger, welche die Personalgestellung im Zuge der Fremdvergabe von Teilbereichen ihrer Aufgaben an externe Dienstleister zahlreich genutzt haben.

Wird die dauerhafte Personalgestellung vom EuGH als echte Arbeitnehmerüberlassung angesehen, besteht das Risiko, dass die Arbeitsverhältnisse der im Wege der Gestellung an die Servicegesellschaften überlassenen Arbeitnehmer kraft Gesetz auf die Servicegesellschaften übergehen. Das AÜG ordnet diesen gesetzlichen Übergang des zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher bestehenden Arbeitsverhältnisses auf den Entleiher bei einem Verstoß gegen das AÜG (insbesondere bei einem Überschreiten der Höchstüberlassungsdauer) ausdrücklich an (vgl. § 10 AÜG).

Abzuwarten ist auch ob das BAG den Arbeitgebern, die bislang von der Wirksamkeit der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG ausgegangen sind, Vertrauensschutz gewährt.

Da die an den TVöD gebundenen Arbeitgeber in der Regel auch Mitglied in einer Zusatzversorgungskasse (ZVK) sind, besteht für diese das Risiko, dass die ZVK bei einer entsprechenden Entscheidung des EuGH Ausgleichszahlung für jeden gestellten Arbeitnehmer verlangen kann. Die Satzungen der ZVKen sehen Ausgleichszahlungen in der Regel dann vor, wenn Aufgaben und Arbeitsverhältnisse von einem ZVK Mitglied auf einen Arbeitgeber übertragen werden, die nicht Mitglied der ZVK sind. Solche Ausgleichszahlungen bedeuten erhebliche finanzielle Belastungen für den Arbeitgeber, die im Einzelfall sogar existenzgefährdend sein können.

Der Fall zeigt sehr deutlich, dass gerade auf europäische Ebene eine klare Regelung zum Recht der Arbeitnehmerüberlassung erforderlich ist. Fälle, in denen der Arbeitnehmer keines staatlichen Schutzes bedarf, sollten generell sowohl nach europäischem als auch nach deutschem Recht von den Reglementierungen des Arbeitnehmerüberlassungsrechts ausgenommen werden. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer wie bei der Personalgestellung nach dem TVöD vergütet wird oder wenn es sich um gut bezahlte Spezialisten (wie z.B. Fachärzte oder Interim-Manager) handelt.

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